Auschwitz – Nie wieder!
Vom 16. bis zum 20. Oktober traten 20 Schülerinnen und Schüler der 12. Klasse eine Reise der besonderen Art an. Das Ziel unserer Fahrt war Auschwitz, das größte und bekannteste nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager, das heute sinnbildlich für den Holocaust, die Vernichtung der europäischen Juden, und die Verbrechen des Faschismus in Europa steht. Zusammen mit Schülerinnen und Schülern von drei weiteren sächsischen Schulen übernachteten wir in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oswiecim, dem ehemaligen Auschwitz, wo wir uns in den nächsten Tagen in kleinen Workshop-Gruppen mit Auschwitz, seinen Ursachen und seinem Eindruck auf uns kreativ befassen würden. Gleichzeitig war die Jugendbegegnungsstätte auch der Ort, an dem wir die Thematik Auschwitz kurzzeitig hinter uns lassen und uns von den sehr strapaziösen Eindrücken erholen konnten.
Bereits am nächsten Tag fuhren wir in aller Früh zum ehemaligen Stammlager Auschwitz-I, das neben einer Hauptstraße mitten in der Stadt liegt. Bei Temperaturen um den Nullpunkt wurden wir, nachdem wir eine relativ strikte Sicherheitskontrolle durchlaufen hatten, durch das Stammlager geführt. Unter dem Schriftzug “Arbeit macht frei” hindurch, durch die Baracken, an unzähligen Bildern von Insassen vorbei, durch die Ausstellungsräume, in denen Haare, Kleidung, Schuhe und unzählige Habseligkeiten der ehemaligen Insassen ausgestellt sind . Wir stoppen nur kurz, unzählige Gruppen werden vor uns und hinter uns ebenfalls durch die Gedenkstätte geführt, sodass man nur selten die Exponate wirklich wirken lassen kann. Im “Todesblock” erfahren wir die Geschichte des Heiligen Maximilian Kolbe, der sein Leben für das eines Mitgefangenen opferte, stehen vor der Todeswand, wo Tausende Zivilisten, Widerstandskämpfer und KZ-Häftlinge erschossen wurden. In der von Yad Vashem organisierten Ausstellung “SHOAH” hören und sehen wir nationalsozialistische Propagandareden gegen die Juden Europas und als einzige verstehen wir das Gesagte ohne Untertitel. Sechs Millionen Menschen starben in der Shoah, nur vier Millionen wurden je identifiziert. Man findet jeden einzelnen ihrer Namen hier, in einem riesigen, meterlangen Buch mit tausenden Seiten, dem “Buch der Namen.” In einem anderen Raum sehen wir von Kindern angefertigte Zeichnungen, die an den Wänden von Baracken gefunden wurden. Wir verlassen die Baracke, verlassen das Lager wieder und durchqueren dabei die Gaskammer und das Krematorium. Das Gesehene liegt schwer, doch es bleibt das Gefühl, dass die Hektik der Führung ein tieferes Verständnis für das Leben und Leiden der Insassen des Stammlagers verhindert hat.
Bei einer Stadtführung lernten wir am gleichen Tag die Stadt Oswiecim besser kennen. Obwohl die Stadt lange über eine große jüdische Bevölkerung verfügte, zeugen heute nur noch ein Denkmal, das jüdische Museum, eine Synagoge und der jüdische Friedhof vom einstigen vielseitigen jüdischen Leben in Oswiecim.
Am Mittwoch brachen wir erneut früh auf und fuhren ins ehemalige Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Es war eisig kalt und das gesamte Gelände des Lagers lag im Nebel, als wir unsere Führung begannen. Bei unter null Grad waren wir dankbar für unsere dicken Jacken, doch gleichzeitig dachten wir dabei an die Insassen, die im Winter ohne richtige Kleidung im Lager erfroren. Birkenau ist ein belastender und verwirrender Ort. Hunderttausende Menschen sind über diese Gleise und durch dieses Tor in den Tod gefahren, haben in hölzernen und unbeheizten Baracken gehaust und starben durch Krankheiten, wurden von Menschen zu Nummern degradiert. Doch die meisten von ihnen wurden in den Gaskammern ermordet und in den Krematorien verbrannt. Birkenau ist erdrückend und verwirrend, viel mehr als das Stammlager, vor allem weil es in einer eigentlich wunderschönen Landschaft liegt und Schauplatz eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte war. Am irritierendsten an Birkenau sind jedoch die Besucher. In den Baracken, in denen einst Kinder um ihr Leben fürchteten, kritzeln sie Texte und Smileys an die Wände, vor dem Tor, das für Millionen den sicheren Tod bedeutete, posieren für Selfies und Gruppenbilder. Ihr Verhalten ist höchst befremdlich und abstoßend, eine Verhöhnung aller, die in diesem Lager gestorben sind und die es überlebt haben.
Einer dieser Überlebenden war Marian Kolodziej, ein polnischer Künstler, der erst Jahrzehnte später seine Erinnerungen an Auschwitz in einer Reihe von Kunstwerken zu verarbeiten versuchte, die heute im Kloster Harmeze ausgestellt sind. Kolodziejs Zeichnungen vermitteln auf beeindruckende Weise, wie tief sich die Erfahrung von Auschwitz in seine Seele eingebrannt hat. Kolodziejs beinahe apokalyptische Bilder konfrontieren uns mit der grausamen, unmenschlichen Realität des Lagers. Gleichzeitig findet sich in Kolodziejs Werk die Suche nach Trost und Würde, die er immer wieder in der Figur des Heiligen Maximilian Kolbe findet. Mit seinen Bildern versuchte Mariam Kolodziej, seinen eigenen Aufenthalt in Auschwitz zu verarbeiten, weshalb viele seiner Bilder auch ihn selbst zeigen. Jedoch ließ ihn Auschwitz bis zum Ende seines Lebens nie wieder los. Kolodziejs Bilder bieten einen tiefen Einblick in die Abgründe der Lager und in die Seelen der Insassen. Ein Besuch des Klosters Harmeze und der Ausstellung sollte für jeden Auschwitz-Besucher Pflicht sein. Vor allem dieser Tag war für viele von uns einer der bedrückendsten, sodass wir dankbar für die Möglichkeit waren, uns in den Workshop-Gruppen darüber zu unterhalten und es zu verarbeiten.
Das wohl beeindruckendste Ereignis unserer Fahrt war jedoch das Zeitzeugengespräch, das am Vormittag unseres vorletzten Tages in Oswiecim stattfand. Die 90-jährige Zeitzeugin Zdzislawa Wlodarczyk erzählte, wie sie nach Auschwitz deportiert wurde und wie sie die Schrecken des Konzentrationslagers erlebte und überlebte. Es war ein beeindruckendes Gespräch. Der Bericht der Überlebenden, welche die Schrecken der Vernichtung überlebte und trotzdem ihren Glauben und ihre lebensbejahende Natur beibehielt, brachte uns die persönlichen Dimensionen des Lagers nochmal näher. Besonders heute, wenn nur noch wenige Zeitzeugen leben und mehr und mehr Menschen dem Holocaust und den nationalsozialistischen Verbrechen immer mehr als etwas lang Vergangenes begreifen, war es besonders wichtig, Zdzislawa Wlodarczyk zuhören und ihre Botschaft zu verinnerlichen. Ja, wir selbst tragen keine Verantwortung für den Holocaust. Aber wir tragen die Verantwortung dafür, dass Auschwitz nicht wieder geschieht.
An diesem Nachmittag besuchten einige von uns nochmal das Stammlager, während andere in ihren Gruppen an Videos, Gedichten und anderen kreativen Projekten arbeiteten, die wir an diesem Abend vorstellen würden. Es fiel dabei einigen nicht leicht, sich auf kreative Weise mit Auschwitz auseinanderzusetzen, schließlich ist Auschwitz ein äußerst schwieriges Thema. Nochmal im Stammlager konnten wir uns diesmal in aller Ruhe mit einigen der weniger in der Öffentlichkeit stehenden nationalsozialistischen Verbrechen befassen, etwa dem Porajmos, dem Völkermord an den Sinti und Roma.
Die Gedichte, Videos, Bilder und andere kreative Projekte, die wir an diesem Abend präsentierten, waren Zeugnisse davon, dass jeder von uns sich auf seine eigene Art intensiv mit Auschwitz beschäftigt hatte und dass diese Fahrt bei jedem einen wichtigen Eindruck hinterließ.
Bevor wir uns am nächsten Tag auf den Heimweg machten, legten wir am Stacheldrahtzaun des Vernichtungslagers Birkenau Blumen nieder, im Gedenken an die Millionen von Menschen, die hier ermordet wurden.
Wir werden Auschwitz wohl nie vollständig verstehen. Doch es ist unsere Pflicht, die Stimmen derer zu hören, die sich erinnern, und die Orte besuchen, an denen das Unvorstellbare geschehen ist und die Erinnerung derer zu pflegen, deren Stimmen für immer in Auschwitz verstummt sind. Auschwitz darf nicht wieder sein, das hat uns diese Fahrt mehr denn je verdeutlicht. Wir müssen eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart schlagen, uns die Botschaft der Überlebenden zu Herzen nehmen, und dafür Sorge tragen, dass Auschwitz niemals vergessen wird und dass es sich niemals wiederholt.
Eduard Gürtler, Frieda Dehmel und Johanna Seifert