Der strengt schon an – Ein Lehrer über Schillers humanistische Botschaft
Beim Schiller-Kolloquium am Samstag (21.5.2016) in der Alten Handelsbörse in Leipzig hielt Jens-Uwe Jopp den Vortrag „Schiller macht Schule“. Der 50-Jährige ist Lehrer am Leipziger Schillergymnasium und Kabarettist. Mit dem Dichter und Philosophen befasst er sich seit vielen Jahren, hat ihn in seinem Stück „Schiller im Burnout“ tragikomisch ins Hier und Jetzt verfrachtet.
Wie bringt man diesen sperrigen und mit vielen Vorurteilen belegten Schiller in den Unterricht des 21. Jahrhunderts?
Indem man ihn zunächst einmal von seinem etwas schweren Dichterrock befreit, sich mit ihm in seine philosophische „Bude“ begibt.
Als Lehrer müssen Sie das in wenigen Sätzen hinkriegen: Was sagt uns dieser Schiller heute?
„Der Nutzen ist das große Idol der Zeit, dem alle Kräfte fronen und alle Talente huldigen sollen.“ Schiller, dringt man tiefer in seine Gedankenräume ein, wusste genau, was es heißt, Kopf und Herz zu trennen, oder wenn „mitten im Schoße der raffiniertesten Geselligkeit der Egoismus sein System gründet.“ Er ist in seinen gedanklichen und persönlichkeitsbildenden Ansätzen aktueller denn je. Eine Hilfe zur Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse.
Sie haben Ihrer Schule ein an Schiller angelehntes Konzept verpasst. Wie kommt das an?
Ich habe manchmal den Eindruck, es überfordert. Mich und die anderen. Zuletzt kam eine Kollegin auf mich zu und fragte mich irritiert. „Du, sag mal, was hast du den Schülern erzählt? Wir sind ein hinduistisches Gymnasium?“ Zunächst grollte ich dem Schüler etwas. Im Ernst: Dieser Schiller, der ein realistischer Idealist seiner Zeit war, Entwürfe „freiheitsfähiger“ Menschen vorlegte, die seine Dramen oftmals gar nicht hergaben, der strengt schon an. Nicht nur Freund Hölderlin sah das so. Andererseits: Was brauchen wir heutzutage mehr als gelebten Humanismus?
Gibt es genug Schiller im Lehrplan oder anders gefragt: Was würden Sie sich von ihm im Lehrplan wünschen?
Da es heute mehr darauf ankommt, streitbares und kritisches Engagement für die Demokratie, für humanistische Grundwerte zu bilden und zu entwickeln – auch streitbarere Texte von Schiller. Oftmals scheitern seine Dramenhelden, von Karl Moor bis Don Carlos. Ich würde von Schiller dafür Erklärungen hören wollen. Die klingen beispielsweise in zwei Gedichten von ihm durch. In den „Worten des Glaubens“ aus dem Jahre 1795, genial ergänzt zwei Jahre später durch die „Worte des Wahns“. Die leisten das ein Stück weit. „Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht, vor dem freien Menschen erzittert nicht.“ Solche erstaunlich aktuellen Zeilen liest man da beispielsweise.
Was meint Schiller mit dem „Sklaven“?
Sicherlich hatte er keine Galeere vor Augen. Er beschreibt die „Sklavenseele“ in seinen theoretischen Schriften (24. „Ästhetischer Brief“) so: „In dieser Epoche ist ihm die Welt bloß Schicksal, noch nicht Gegenstand; alles hat nur Existenz für ihn, insofern es ihm Existenz verschafft, was ihm weder gibt noch nimmt, ist ihm gar nicht vorhanden.“ Wer sich in dieser Welt nicht beteiligt, nichts zu ihrer Verbesserung beiträgt, sich nicht „freiheitsfähig“ zu zeigen vermag, in „roher Tierheit“ steckenbleibt, ohne sein „Individuum zur Gattung Mensch zu steigern“ – der ist laut Schiller ein „Sklave“.
Sie unterrichten Deutsch und Geschichte – für welches Fach ist Schiller wichtiger, lässt er sich überhaupt in ein Fach sperren?
Ja, nicht nur finanziell, auch geistig gesehen war Schiller lange Zeit ein recht unzuverlässiger Mieter. Bei meiner Fächerkombination ist es sowieso schwer, finde ich, klare Grenzen zu ziehen. Schiller kannte die ja auch nicht. Ich gerate da regelmäßig durcheinander. Aber letztens fand ich – ganz zu meiner Beruhigung – eine sprachlich brillant formulierte Erklärung Schillers, mit der er sich in einem Brief an Goethe aus dem Jahre 1794 gewissermaßen dafür „entschuldigte“. Darin heißt es: „Gewöhnlich übereilte mich der Poet, wo ich philosophieren sollte, und der philosophische Geist, wo ich dichten wollte.“
Wäre Schiller nicht auch für Lehrer ein guter Lehrer?
Schwierige Frage. Grundsätzlich würde ich ja jedem Lehrer von einem „Copy and paste“-Denken abraten. Aber Orientierung brauchen wir auch. Wir sind oft nicht so stark, wie wir wirken müssen. Ich empfinde Schiller hier als eine Art „Haltungsstütze“, wenn er schreibt: „Lebe mit deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf. Leiste deinen Zeitgenossen, was sie bedürfen, nicht was sie loben.“
Wenn Schiller, der Idealist, auf die heutige Realität treffen würde, was würde er angesichts des herrschenden Materialismus ausrufen?
Sicher nicht „Seid umschlungen, Millionen.“ Aber ich bin mir nicht ganz sicher. Da man bei Individualisten ja nie so ganz genau weiß, was sie wann sagen könnten. Aber ein Mensch, der so ganz in seiner Arbeit, seiner „Mission“ aufgeht, bei dem kann ich mir nur schwer vorstellen, dass der sich jetzt – ohne jemandem zu nahe treten zu wollen – auf Einkaufsfesten herumgetrieben hätte.
Wie würde er auf die Flüchtlingsbewegungen und die hiesigen Reaktionen darauf reagieren?
Vielleicht … „In den niederen und zahlreicheren Klassen stellen sich uns teilweise rohe, gesetzlose Triebe dar …“
Beim Stichwort „Schiller“ kommt im allgemeinen Halbbildungs-Dunkel meist schnell die Assoziation „Freiheit“. Was bedeutet dieser Begriff in Schillers Denk-Kosmos?
Das ist wieder nicht ganz einfach, weil Schiller gewissermaßen philosophische Begriffe „poetisiert“. Wenn er aber den Jakobinerterror 1793 resümiert mit den Worten „Die Freiheit findet ein unempfängliches Geschlecht“, dann glaube ich zu verstehen, dass dieses große Wort „Freiheit“ auch große Menschen benötigt, „Freiheitsfähige“ wenn man so will, um wirken zu können. Den „Raum“ Freiheit praktisch auch ausfüllen zu können.
„Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, sagt Schiller. Wird heute nicht andauernd gespielt, am Computer, an der Playstation, oder – wie bei der Unterhaltungsmaschine Fußball – Spielenden zugesehen? Sind wir da in Schillers Sinne ganz Mensch?
Definitiv nicht. Schiller meinte auch andere Gegenstände, mit denen „gespielt“ werden sollte. Seine Instrumente waren der Verstand und das Herz. Diese sollten eine flexible Verbindung eingehen, miteinander spielen. Einen reflektierten Abstand bekommen. Abstand im Sinne von „Spiel haben“. Ein praktisches Beispiel aus meinem Beruf: Vielleicht lachen wir, der Sechstklässler und ich, irgendwann noch mal gemeinsam über den hinduistischen Wortverdreher und denken zusammen darüber nach, was es im Leben bedeutet, humanistisch zu sein und wie man es zeigen kann.
Fühlen Sie sich mit Schiller im Gepäck manchmal einsam?
Manchmal schon. Staat kann man mit ihm machen, wenn man ihn auf den berühmten Dichtersockel hebt. Dann ist er der Autor klassischer Tragödien und oft zitierter Dramensentenzen, ein verstaubtes Kunstwerk, das zum Denkmal erstarrt. Erinnert man an den Idealisten, der die Realität nie leugnete, an bürgerlich-humanistische „Ur-Werte“ glaubte, dann wird es heute im Alltag stiller um und mit ihm.
Interview von Jürgen Kleindienst, LVZ vom 20.5.2016