… oder Gehört Friedrich Schiller zu uns?

Wollen wir suchen?

Ja.


Versuchen wir es. Den Weg unserer Kinder und Jugendlichen bis hin zum Abitur zu begleiten. Wie kann uns dabei ein alter Dichter helfen? Der hat doch nur in Stein zu meißelnde Sätze geschrieben. Große Kunst gemacht. Das hat er. Zweifellos.

Für uns ist er mehr. Er ist unser Schiller. Nicht nur, weil er Sommergast in Schulnähe war. (Dank seines treuen Freundes Körner konnte er in Ruhe arbeiten und „chillen“.) Er lieferte uns eine Unmenge an humanistischem Stoff, unersetzlich für die Bildung von Menschen, was nichts an Aktualität eingebüßt hat. Nur eben anders war.

Das „Raumschiff Erde“ vor über 200 Jahren. Umbruch. Wandel. Und immer wieder Krisen. Die Welt war in Schiller und er in ihr. „Weil mein Gedankenkreis kleiner ist, so durchlaufe ich ihn eben darum schneller und öfter.“ schrieb er 1794 an Goethe, den er gerade als Freund zu schätzen begann. Ein bescheidener, großer Geist war er. Dennoch selbstbewusst und selten verschämt. „Wie lebhaft habe ich bei dieser Gelegenheit erfahren, dass das Vortreffliche eine Macht ist, dass es auf selbstsüchtige Gemüter auch nur als eine Macht wirken kann, dass es, dem Vortrefflichen gegenüber keine Freiheit gibt als die Liebe.“ (2. Juli 1796 an Goethe)

Ein Idealist, wie man später sagen wird. Schiller – du Idealist! Rüdiger Safranski, einer der jüngsten Schiller-Biographen, maß sein Genie gar mit dem idealistischen Superlativ, dass „ … man dann mit der Kraft der Begeisterung länger lebt, als es der Körper erlaubt.“ Hatte er diese Fähigkeit? Sicher hätte er hätte er siesich gewünscht. 50 wollte er werden. Auch hier eher bescheiden.

Schiller – ein Vorbild?

Damals schwer möglich in Zeiten eines untergehenden politischen Systems. Er nannte es in seiner Jenaer Antrittsvorlesung 1789 „Was ist und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“ metaphorisch „Weltverfassung“, das Europa am Ende des 18. Jahrhunderts. Revolution – Krieg. Transformationen, sagt man heute. Prozesse, in die Menschen hineingeworfen werden. Und selten darauf vorbereitet sind. „Mich ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum.“ knirscht der Hauptmann Karl Moor seiner Bande von jugendlichen „Räubern“ entgegen. Oder noch direkter: „Schöner Preis für euren Schweiß in einer Feldschlacht, dass ihr jetzt in Gymnasien lebet und eure Unsterblichkeit in einem Bücherriemen fortgeschleppt wird.“ Ein Streber war Schiller sicherlich nie.

Vielmehr wusste er: Unsere Erde wird in immer komplexere, unüberschaubare Prozesse verwickelt. Gerade 21. Ein jugendlicher Spund und „shootingstar“.

Die Welt ordnet sich nicht immer friedlich. Schiller trug stets dazu bei, sich zu vervollkommnen, um andere zu vervollkommnen. Ohne seine Ideale zu verraten, ohne sich zu verbiegen. Selbst im letzten seiner Briefe an Freund Goethe sah er sich „in einiger Controvers“ mit ihm. Das war Ende April 1805. Zwei Jahrhunderte später entdecken wir den „Lehrer“ Schiller. (Lehrer? Ich denke, der war Arzt? Selten maßvoll, wenn er sich selbst kurierte? – Aber wer ist schon perfekt.)

Ganz einfach neu darüber nachgedacht. Schiller war Pädagoge im besten Sinn. 1793 schrieb er im Auftrag eines Fürsten Briefe. „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ dachte er nach und erkannte klar – wieder im druckvollen Pathos – dass der „Weg zu dem Kopf durch das Herz muss geöffnet werden.“ Und weiter, dass „alle Aufklärung des Verstandes nur insoferne Achtung verdient, als sie auf den Charakter zurückfließt“. Donnerwetter. Der von Gewalt entsetzte Künstler sucht nach einem Weg, die Erziehung des Menschen zu systematisieren? Ihr die Eigenschaft von Gesetzmäßigkeit anzuhaften? „Ich kann seit 14 Tagen keine französische Zeitschrift mehr lesen, so ekeln diese elenden Schindersknechte mich an“ schickte er Freund Körner Anfang ´93 eine Kurznachricht. Pardon: Eine kurze Nachricht. Das war am 8. Februar. In Frankreich arbeitete bereits die Guillotine und begann Andersdenkende hinzurichten. Die Ehrenbürgerschaft für „Monsieur Gille“ kam Jahre zu spät. Traurig: Die Franzosen kannten nicht mal seinen richtigen Namen.

Schiller vergessen? Nein.

Sein Humanismus griff weiter. Nicht nur eine Distanzierung von Gewalt jeglicher Form prägte sein Denken -wobei er instinktiv der modernen Psychologie vorausging: „In seinen Taten malt sich der Mensch“ stellt er m 5. „Ästhetischen Brief“ fest. Er ging so weit zu meinen, dass gelebter Humanismus und aktive Toleranz lst Voraussetzung für gelingende Bildung anzusehen seien. Klingt utopisch. Aber logisch

Wir wollen motivieren, bevor wir Wissensinhalte vermitteln und festigen. Fähigkeiten entstehen nur, wenn ihre Sinnhaftigkeit klar ist. In seinem 23. „Ästhetischen Brief“ fasste er es zusammen und packt uns damit buchstäblich am pädagogischen Kragen. „Mit einem Wort: Es gibt keinen anderen Weg, den sinnlichen Menschen vernünftig zu machen, als dass man denselben zuvor ästhetisch macht.“ Wie? Sollen wir Menschen erst „schön“ machen, bevor sie etwas lernen?

Wir achten einander. Und aufeinander. Wenn wir Leistung und Erfolg erzielen wollen, wissen wir, dass der Prozess jugendlicher Reifung nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen ist und auch nicht gelebt werden kann. Wir sind uns bewusst, dass „alles“ immer schneller, Menschen immer komplizierter im Wesen und langsamer in ihrer Veränderlichkeit zu werden scheinen. Aber wir wissen auch, dass nur der denkende Mensch dazu in der Lage ist, kreativ, beweglich und charakterfest zu lernen. Und lernen will. Dazu braucht er Visionen. Ohne gleich zum Arzt zu müssen. Schiller 1789:

„Ein edles Verlangen muss in uns erglühen, zu dem reichen Vermächtnis von Wahrheit, Sittlichkeit und Freiheit, das wir von der Vorwelt übernahmen und reich vermehrt an die Folgewelt wieder abgeben müssen, auch aus unseren Mitteln einen Beitrag zu leisten und an dieser unvergänglichen Kette, die durch alle Menschengeschlechter sich windet, unser fliehendes Dasein zu befestigen.“

Versuchen wir es.

Jens-Uwe Jopp